Die Gefährlichkeit des Quecksilbers
und der Amalgam-Zahnfüllungen
[1]
Von Prof.Dr. Alfred Stock, Techn.
Hochschule Karlsruhe
Vor zwei Jahren hatte Verfasser auf Grund eigener Erfahrungen auf die
früher wohlbekannte, im Laufe der Zeit fast in Vergessenheit geratene
Gefährlichkeit des Quecksilbers, als eines wegen seiner Flüchtigkeit und
Nichtwahrnehmbarkeit besonders tückischen Giftes eindringlich aufmerksam
gemacht. Viele seitdem ausgeführte ärztliche und zahnärztliche Arbeiten,
vor allem der an der Berliner Charité und beim Gesundheitsamt der Stadt
Berlin geschaffenen "Quecksilber-Untersuchungsstellen", haben
die Berechtigung der Warnung erwiesen.
Die langanhaltende Zuführung winziger Quecksilbermengen, täglich 1/1000
mg und weniger, verursacht eine schleichende Vergiftung, deren erste Erscheinungen
nur nervöser und psychischer Art (Benommenheit, Kopfschmerz, Müdigkeit,
Arbeitsunlust, Verstimmungen, Gedächtnishemmungen) sind. Gewöhnlich folgen
erst später körperliche Erscheinungen: Zahnfleischbluten, Mundentzündungen,
Durchfälle, chronische Katarrhe usw. Charakteristisch ist der Wechsel
im Auftreten und in der Stärke der Beschwerden.
Die Empfindlichkeit gegenüber der Quecksilbereinwirkung ist weit verbreitet,
das Anwendungsgebiet des Quecksilbers ein außerordentlich großes. Hunderte
von Fällen beruflicher schleichender Quecksilbervergiftungen sind bei
Physikern, Chemikern, Zahnärzten, Ärzten, Schullehrern, in quecksilberverarbeitenden
Industrien beobachtet. Das große Publikum wird durch zerbrochene Quecksilberthermometer
und vor allem durch die so ungeheuer verbreiteten Amalgam-Zahnfüllungen
bedroht, die Quecksilber als wesentlichen Bestandteil enthalten und dieses
im Laufe der Zeit langsam abgeben. Professor Fleischmann, der Leiter der
Quecksilber-Untersuchungsstelle der Charité[2], beschrieb eine
erhebliche Zahl von Fällen, wo Träger von Amalgam-Zahnfüllungen an den
erwähnten Beschwerden litten und sie nach Entfernen der Füllungen vollständig
verloren. Besonders Kupfer-Amalgam ist gefährlich; es verschwindet jetzt
aus der zahnärztlichen Praxis, auch aus derjenigen der Kassenpatienten,
in der es bisher eine große Rolle spielte. Doch auch Schädigungen durch
sogenannte Edelamalgame sind einwandfrei nachgewiesen. Man muß wünschen,
daß es der Industrie recht bald gelinge, einen ungiftigen Ersatz für die
Amalgame als Zahnfüllmittel zu finden.
Wird jede weitere Quecksilberzuführung ausgeschaltet, so scheidet sich
das im Körper befindliche Quecksilber verhältnismäßig schnell aus, und
es erfolgt allmähliche, meist von Rückfällen unterbrochene Gesundung.
Dank der von Stock, Heller, Pohland und Zimmermann ausgearbeiteten Verfeinerung
der Quecksilberbestimmung (quantitativ bis zu 5/100000 mg, qualitativ
bis zu 7/1000000 mg Quecksilber [3]) läßt sich die schleichende
Quecksilbervergiftung jetzt in Ursache, Behandlung und Heilung genau objektiv
verfolgen.
Es ist dringend zu raten, daß man beim Umgehen mit Quecksilber und mit
Quecksilber abgebenden Stoffen überall zur früheren Vorsicht zurückkehrt.
Literaturhinweise
[1] Ausführlicher Bericht in der Zeitschrift für angewandte
Chemie 41, 663 (1928)
[2] Deutsche Medizinische Wochenschrift 1928, Nr.8
[3] Zeitschrift für angewandte Chemie 41, 546 (1928)
Dieser Artikel erschien in Forschungen und Fortschritte Nr.21, 20.Juli
1928, S.217
Letzte Bearbeitung am 14.09.97
Roland Jehring
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